Aktuelles vom Kreuzbund

Neue Chancen für die Zusammenarbeit

Herbst-Arbeitstagung verbreitet Aufbruchstimmung

Die rund 80 Teilnehmenden der diesjährigen Herbst-Arbeitstagung haben sich vom 30. September bis 2. Oktober 2022 in Siegburg mit dem Thema „Wenn Kooperation Früchte trägt – Der Kreuzbund in Kirche, Staat und Gesellschaft“ beschäftigt. Dieses Thema war eigentlich schon vor zwei Jahren geplant, die Veranstaltung musste wegen der Corona-Pandemie aber verschoben werden. Die inhaltliche Gestaltung der Tagung hatten Bundesgeschäftsführer Heinz-Josef Janßen und Gunhild Ahmann, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, übernommen.

Der Freitagabend begann nach der Eröffnung durch die Bundesvorsitzende Andrea Stollfuß und dem geistlichen Impuls von Thorsten Weßling mit einem Einführungs-Vortrag von Gunhild Ahmann, zuständige Referentin der Arbeitsgruppe „Kreuzbund-kompakt“. Sie stellte fest, dass sich die Kirche wegen des Missbrauchsskandals und ihrer reformbedürftigen Strukturen in einer tiefgreifenden Krise befindet. Trotzdem ist die Zugehörigkeit des Kreuzbundes zur katholischen Kirche nicht nur eine Belastung, sondern bietet auch viele Chancen zur Zusammenarbeit, z.B. mit den jeweiligen Caritasverbänden und den örtlichen Kirchengemeinden.

Auch der Staat ist in Bedrängnis, die Regierung ist gezwungen zu handeln angesichts der vielen Krisen: Corona-Pandemie, Klimakrise, Krieg in der Ukraine, Energiekrise, Inflation, marode Infrastruktur, Fachkräftemangel.

Der Kreuzbund braucht mehr Bewegung

Die Gesellschaft befindet sich in einem Umbruch, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Die Medienlandschaft zersplittert immer mehr, der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss seine Existenzberechtigung verstärkt unter Beweis stellen. Jeder kann in den sozialen Medien seine Meinung verbreiten. Uns steht voraussichtlich eine Rezession und ein längerfristiger Wohlstandsverlust bevor. Die soziale Ungleichheit wird immer größer, der Anteil der älteren Menschen und der Menschen mit Migrationshintergrund nimmt zu. Die klassische Rollenverteilung gibt es immer weniger, über 75 Prozent der Frauen im Alter von 20 bis 64 Jahren sind erwerbstätig. In 19 Prozent der Familien mit minderjährigen Kindern lebt nur ein Elternteil, sie sind also alleinerziehend. Die Lebensformen der Menschen werden also immer vielfältiger.

Zum Abschluss stellte Gunhild Ahmann die Frage, wie sich der Kreuzbund in diesem Umfeld behaupten und positionieren kann und wie er die unterschiedlichen Bedürfnisse von suchtkranken Menschen und suchtbetroffenen Angehörigen mehr in den Vordergrund stellen kann.

Die drei Bereiche Kirche, Staat und Gesellschaft wurden am Samstag von drei Vortragenden im Einzelnen beleuchtet. Sie brachten jeweils ihre Sichtweisen und Ideen ein und rundeten damit das sehr umfassende Thema ab. 

Die DHS als fachpolitischer Dachverband des Kreuzbundes

So lautete der Vortrag des ersten Referenten am Samstagmorgen, Dr. Peter Raiser, Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. in Hamm. Die DHS wurde 1947 gegründet und hat heute 24 Mitgliedsverbände, darunter den Kreuzbund, und sechs kooperierende Organisationen. Zu ihren Aufgaben gehört neben der Aufklärung der Öffentlichkeit auch die Unterstützung der Sucht-Selbsthilfe.

Die suchtpolitischen Ziele der DHS umfassen die Verhinderung und Reduzierung der Schäden durch Suchtmittelkonsum und die Sicherung der gesellschaftlichen Teilhabe. Dr. Peter Raiser führte diese Ziele weiter aus:

  1. Weniger Menschen konsumieren Suchtmittel. Alle nicht konsumierenden Menschen werden in dieser Entscheidung bestärkt.
  2. Menschen, die Suchtmittel konsumieren, beginnen den Konsum möglichst spät und weisen möglichst risikoarme Konsummuster auf (Punktnüchternheit im Straßenverkehr, am Arbeitsplatz und in der Schwangerschaft).
  3. Menschen, deren Suchtmittelkonsum zu Problemen führt, erhalten möglichst früh effektive Hilfen zur Reduzierung der auftretenden Risiken und Schäden.
  4. Konsumierende, die ihren Konsum reduzieren oder beenden wollen, erhalten uneingeschränkten Zugang zu Beratung, Behandlung und Rehabilitation nach den jeweils aktuellen wissenschaftlichen Standards.

Es ist bewiesen, dass eine abgestimmte Präventionsstrategie, die Maßnahmen der Verhaltensprävention und Verhältnisprävention miteinander verbindet, den größten Erfolg hat. Verhaltensprävention wirkt auf die Einstellungen und das Verhalten von einzelnen Personen, z.B. über Aufklärung und Information. Verhältnisprävention nimmt die Rahmenbedingungen in den Blick, also die Produktion, Handel und Verfügbarkeit.

Deutschland gehört zu den Ländern mit besonders hohem Suchtmittel-Konsum, hoher Krankheitslast und hohen Kosten. Die direkten und indirekten Kosten des Alkoholkonsums werden auf über 57 Milliarden € geschätzt. In der Alkoholpolitik hat sich seit längerer Zeit wenig getan, die Ampelregierung sei aber sensibler für das Thema, so Raiser, und setzt in Zukunft möglicherweise einige Forderungen der DHS gesetzlich um. Wirksam sind hier v.a. die Preisregulierung, z.B. durch Alkoholsteuern und Mindestpreise, die Einschränkung der Verfügbarkeit, z.B. durch örtliche und zeitliche Verkaufsverbote und ein Mindestalter für den Erwerb, sowie ein teilweises oder vollständiges Werbeverbot.

Einen Paradigmenwechsel gibt es voraussichtlich auch in der Cannabispolitik. Hier hat die DHS klare Bedingungen für eine Freigabe formuliert. Das Expertenwissen der DHS werde durchaus gehört, so Raiser. Er empfahl den Funktionstragenden im Kreuzbund, den Kontakt zu ihren örtlichen Bundestagsabgeordneten zu suchen.

Der Wert der Sucht-Selbsthilfe für die Krankenkassen

Das war die Überschrift des zweiten Vortrags von Claudia Schick, Referentin für Selbsthilfeförderung des AOK-Bundesverbandes in Berlin. Sie ging zunächst auf das seit 2008 gültige Gesetz ein, das im Paragraf 20 h Sozialgesetzbuch V die verpflichtende Förderung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe durch die Krankenkassen verankert. Im Jahr 2008 waren es 0,55 € pro Versichertem, heute sind es 1,19 €. Damit erkennen die Krankenkassen die Leistungen der Selbsthilfe als wichtige Ergänzung der medizinischen Versorgung an. Im Jahr 2022 hat die AOK insgesamt 87,2 Millionen € an die Selbsthilfe überwiesen, erklärte Schick. Seit dem 1.1.2020 werden 70 Prozent der Mittel im Rahmen der Pauschalförderung verteilt, die restlichen 30 Prozent sind Projektfördermittel. Über die Vergabe wird auf der jeweiligen Förderebene ent schieden.

Weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit sieht Claudia Schick v.a. in der Einbeziehung von suchtbetroffenen Menschen in Suchtpräventions- bzw. Aufklärungskampagnen sowie bei der Aus- und Weiterbildung von medizinischem Personal. Dabei sollte der Kreuzbund eingebunden werden in ein Konzept der beruflichen Suchthilfe. Unter dieser Bedingung gelingt es Mitgliedern der Sucht-Selbsthilfe u.U, andere Menschen vor der Sucht zu bewahren. Die persönlichen Geschichten suchtkranker Menschen sind zwar berührend für die (jugendlichen) Zuhörer*innen, haben aber allein keine nachhaltige Wirkung.

In der anschließenden Diskussion wünschten sich die Funktionstragenden des Kreuzbundes ein vereinfachtes Antragsverfahren sowie die Erweiterung der Förderung auf suchtmittelfreie Freizeitgestaltung. 

Spitzenverband Caritas und Fachverband Kreuzbund – Zwei Seiten einer Medaille

Darüber sprach Prof. Dr. Ulrike Kostka, seit zehn Jahren Direktorin des Caritasverbandes im Erzbistum Berlin. Sie bezeichnete sich als „leidenschaftliche Caritäterin“ und blickte auf die Gründung des Caritasverbandes vor 125 Jahren zurück. Im November 1897 gründete Pfarrer Lorenz Werthmann den „Charitasverband für das Katholische Deutschland“. Hintergrund waren die prekären Arbeitsbedingungen der italienischen Wanderarbeiter beim Bau der Höllentalbahn von Freiburg nach Villingen. (Auf der zwölf Kilometer langen Bahnstrecke mussten 400 Höhenmeter überwunden werden, d.h. es waren viele Brücken und Tunnel notwendig).

Heute ist der Caritasverband der größte Wohlfahrtsverband in Deutschland mit rund 690.000 Mitarbeitenden. Es handelt sich aber nicht um einen von oben durchgesteuerten Apparat, die Diözesan- und Ortscaritasverbände sind rechtlich eigenständig und nicht an die Vorgaben des Deutschen Caritasverbandes gebunden, ähnlich wie beim Kreuzbund. Die Caritas hat ein Alleinstellungsmerkmal: Kein anderer Wohlfahrtsverband hat angegliederte Fachverbände mit einer eigenen Geschichte und Tradition. In diesem Zusammenhang forderte Kostka den Kreuzbund auf, selbstbewusst seine Perspektive einzubringen und frühzeitig der Politik soziale Nöte und Stimmungen zu melden. Grundsätzlich sei es ratsam, den persönichen Kontakt zum Diözesancaritasverband und zum Bischof zu suchen und in den entsprechenden Gremien mitzuwirken.

Die Sucht-Selbsthilfe sei wichtig im praktischen Alltag suchtbetroffener Familien, die Arbeit des Kreuzbundes müsse auch unter schwierigen Bedingungen weitergehen, erläuterte Kostka. Die Frage sei, wie man Selbsthilfe organisieren könne. Angesichts des Mitgliederverlustes und der schwindenden Bereitschaft ehrenamtliche Funktionen im Kreuzbund zu übernehmen müssten die Strukturen angepasst und angemessene Formen zum Mitwirken gefunden werden.

Die Botschaft aller drei Vorträge und auch der Gruppenarbeit am Sonntagmorgen lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Wir müssen uns (immer wieder) auf den Weg machen, um den Kreuzbund bekannter zu machen, um so die Interessen suchtbetroffener Menschen vertreten zu können.

Gunhild Ahmann, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit

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